Das BIP Deutschlands ist im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zum ersten Quartal um 10,1 Prozent gesunken. Zu den aktuellen BIP-Zahlen des Statistischen Bundesamtes sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V., Joachim Lang: „Der dramatische Einbruch der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal ist ohne historisches Vorbild. Die Corona-Pandemie hat weite Teile der Wirtschaft in eine Schockstarre versetzt.“
Ein solcher Rückgang ist in den bisherigen quartalsweisen BIP-Berechnungen seit 1970 nicht aufzufinden. Er fiel noch deutlich stärker aus als während der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2009, damals wurde ein Minus von 4,7 Prozent im ersten Quartal verzeichnet. Laut dem Statistischen Bundesamt sind im zweiten Quartal 2020 sowohl die Exporte und Importe von Waren und Dienstleistungen massiv eingebrochen als auch die privaten Konsumausgaben. Der Staat erhöhte dagegen seine Konsumausgaben während der Krise. Auch im Vergleich zum Vorjahr ist die Wirtschaftsleistung stark zurückgegangen. Das BIP war im zweiten Quartal 2020 preisbereinigt um 11,7 Prozent niedriger als im Jahr zuvor.
Verfrühter Optimismus
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnt vor zu großer Zuversicht. „Die Risiken für die deutsche Wirtschaft sind nach wie vor enorm, wir haben die Krise noch lange nicht überwunden“, schreibt Fratzscher in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Er fügt hinzu: „Diese vermeintlich rapide wirtschaftliche Erholung könnte sich jedoch als eine gefährliche Illusion erweisen“.
Fratzscher nennt „vier große Risiken, die den Zug der wirtschaftlichen Erholung zum Entgleisen bringen könnten“. An erster Stelle steht eine zweite Welle von Infektionen, die erneute strikte Maßnahmen zur Eindämmung des Virus erfordern könnte. Das Risiko für die Wirtschaft besteht dabei hauptsächlich in den damit verbundenen Einschränkungen für Unternehmen, aber auch für die Verbraucher. Als zweiten Punkt nennt er die oft prognostizierte Welle an Unternehmensinsolvenzen. Das Risiko besteht in dem damit unumgänglichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Durch die zunehmende Arbeitslosigkeit wird die Kaufkraft in Deutschland weiter geschwächt. Das dritte Risiko besteht laut Fratzscher in den hohen Kreditausfällen für die Banken. Sowohl die prognostizierten Unternehmensinsolvenzen als auch die vermehrte Arbeitslosigkeit könnte für bereits geschwächte Banken das Aus bedeuten.
Als letzten Punkt bezieht sich Fratzscher auf den Außenhandel und die unberechenbaren Entwicklungen in anderen Ländern. Besonders das exportstarke Deutschland wird durch die weltweite Unsicherheit auf die Probe gestellt. Im Mai 2020 exportierte Deutschland Waren im Wert von 80,3 Milliarden Euro. Wie das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Ergebnisse mitteilte, sanken sie im Vergleich zum Vorjahresmonat um 29,7 Prozent.
Rückgang des BIP auch in den USA
Der Kreditversicherer Coface prognostiziert bis Ende 2021 einen Anstieg der Insolvenzen in den USA um rund 43 Prozent. Für das BIP wird in diesem Jahr ein Rückgang um 5,6 Prozent erwartet, während es im kommenden Jahr wieder um 3,3 Prozent ansteigen soll. „Die sinkenden Insolvenzzahlen in den letzten Monaten geben eine Scheinsituation wieder“, meint Ruben Nizard, Volkswirt bei Coface. In einem Bericht zur Situation in den USA prognostiziert Coface daher, dass die Zahl der Insolvenzen in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 wieder zunehmen wird. Zwischen Ende 2019 und Ende 2021 solle der Anstieg 43 Prozent betragen.
Aussichten für deutsche Branchen
Gemäß einer Exklusivstudie des Unternehmens- und Strategieberatungdienstleisters McKinsey & Company für das Manager Magazin, sollen viele Branchen nicht vor 2023 auf das Vorkrisenniveau aufsteigen können. Für die besonders stark betroffene Automobilbranche wird eine sehr späte Erholung erwartet, ebenso für weitere deutsche Kernbranchen wie Chemie oder Bau. Für die Gastronomiebranche und Bekleidungsindustrie soll die Erholung ebenso schleppend vorangehen. Im Gegensatz dazu soll insbesondere die Pharmaindustrie nicht lange unter den Prä-Corona-Niveau verharren.
Forscher des Ifo-Instituts teilten Anfang Juli mit, dass jedes fünfte Unternehmen sich in seiner Existenz bedroht sieht. „Die Unternehmen müssen flexibler und agiler werden“, fordert McKinsey-Seniorpartner Jan Wüllenweber, Autor des Branchenchecks für das Manager Magazin. „Sie müssen Beschaffung und Produktion bei starken Nachfrageschwankungen möglichst schnell umschichten – das ist künftig die hohe Kunst des Managements.“

Gurpinder Sekhon ist Bachelor of Arts in Global Trade Management und als Junior-Redakteurin zuständig für hochwertigen Content im UnternehmerJournal.
